Stellungnahme des NABU Saarland im Rahmen der frühzeitigen Behördenbeteiligung gemäß § 4 Abs. 1 BauGB und der Planabstimmung mit den Nachbargemeinden gemäß § 2 Abs. 2 BauGB
Der NABU Saarland bedankt sich für die Beteiligung im Rahmen des Verfahrens. Eine Inaugenscheinnahme der Planungsfläche erfolgte am 17.02.2025 im Rahmen einer Ortsbegehung durch Frau Stein und Herrn Schmitt vom NABU-Landesfachausschluss Feldherpetologie.
Unverständlich: Textliche Festsetzungen fehlen vollständig
Der Planentwurf der MR Kommunalen Entwicklungsgesellschaft mbH aus Zweibrücken kommt uns sehr ungewöhnlich vor und erinnert an Bauleitpläne aus dem vergangenen Jahrhundert, wo die Regulierung und Steuerung des reinen Bauens im Vordergrund stand. Heute jedoch spielen zusätzlich grünordnerische, vor allen Dingen auch textliche Festsetzungen auf der Grundlage einer Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzierung eine wesentliche Rolle.
Auch wenn diesbezüglich auf den noch zu erstellenden Umweltbericht etc. verwiesen wird (vgl. Begründung, S. 5), so ist der vorliegende Entwurf für eine frühzeitige Beteiligung der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange im Vergleich zum Branchenstandard lediglich als rudimentär zu bewerten. Bereits vorhandene resp. bekannte maßgebliche Planungsgrundlagen (z. B. gesetzlich geschützte Biotope und kartierte FFH-Lebensraumtypen) sind nicht wenigstens bereits vorläufig eingearbeitet oder wurden zumindest vorab berücksichtigt, selbst wenn eine detaillierte Kartierung gegebenenfalls erst später erfolgen kann.
Das birgt die Gefahr, dass im weiteren Projektverlauf wieder grundlegend umgeplant werden muss, um zu einer rechtskonformen Planung zu gelangen. Vor allen Dingen jedoch fehlen textliche Festsetzungen vollständig, auf die bei einem Projekt einer derartigen Dimension keinesfalls verzichtet werden kann. Deshalb wurde von uns eine Internetrecherche zur Expertise des beauftragten Planungsbüros durchgeführt.
Expertise auf dem Gebiet der Bauleitplanung bleibt unklar
In Ermangelung einer firmeneigenen Homepage mit etwaigen Referenzen stießen wir bei der Firmenrecherche auf eine Creditreform-Auskunft zur MR Kommunalen Entwicklungsgesellschaft mbH, die als deren Unternehmensgegenstand ausweist: „Erschließen, Planen und Bebauen von Grundstücken, Vermittlung und Verkauf von bebauten und unbebauten Grundstücken aller Art sowie Vornahme aller Geschäfte auf dem Gebiet des Bauwesens und die Tätigkeit von Geschäften, die der Vorbereitung, Durchführung und Unterstützung des Hauptgewerbes mittelbar oder unmittelbar dienen“. Eine nachweisliche Expertise oder zumindest einschlägige Erfahrung auf dem Gebiet der Bauleitplanung, z. B. auf der Grundlage von Referenzen, insbesondere aber der umweltbezogenen Grünordnungsplanung konnten wir im Rahmen unserer Recherche bisher nicht feststellen.
Nachhaltigkeitsziele der übergeordneten Planungsebene nicht erfüllt
Aus unserer Sicht widerspricht die vorgelegte Planung nicht nur allgemeinen, grundlegenden Nachhaltigkeitszielen wie dem sparsamen Umgang mit Grund und Boden und der Verringerung des Flächenverbrauchs (vgl. dazu § 1 a BauGB), sondern auch konkreten Zielen und Grundsätzen des Landesentwicklungsplans (LEP) Siedlung (s. Amtsblatt des Saarlandes Nr. 29 vom 14. Juli 2006, S. 963 ff.). So etwa dem Ziel 32, wonach die Inanspruchnahme erschlossener Bauflächen Vorrang vor der Ausweisung und Erschließung neuer Bauflächen hat. Auch ist nicht erkennbar, dass und wie die Kreisstadt St. Wendel dem Grundsatz (Ziffer 37 und 38 des LEP) gerecht wird, dafür Sorge zu tragen, dass Baulücken auch tatsächlich für Bauwillige verfügbar sind. Dies gilt, ohne bereits tiefer in die Thematik einsteigen zu müssen, schon für die nahegelegenen Flächen entlang der Straße „Im Gründchen“, wo seit Jahrzehnten zahlreiche ungenutzte Baulücken vorhanden sind.
Verletzt wird durch die vorgelegte Planung auch das Ziel (Ziffer 21), wonach städtebaulich sinnvolle Arrondierungen Vorrang vor der Ausdehnung in den Außenbereich haben. Ebenso wird der Grundsatz in Ziffer 21 nicht beachtet, wonach die Sicherung bzw. Wiederherstellung des Ortsrandes in seiner ortsbildprägenden und siedlungsökologischen Funktion anzustreben ist. Die vorgelegte Planung sieht demgegenüber ein satellitenartiges Wohngebiet praktisch völlig losgelöst vom historisch gewachsenen Ortsrand vor. Das genaue Gegenteil ist also hier der Fall.
Schon aus den vorgenannten Gründen ist die vorgelegte Planung abzulehnen – hinzu kommen grundlegende Bedenken hinsichtlich der Belange des Arten- und Biotopschutzes.
Überplanung gesetzlich geschützter Biotope
Aus dem Planentwurf geht hervor, dass in maßgeblichem Umfang Streuobstwiesen überplant werden sollen. Das betrifft insbesondere die Fläche „Aufschüttungen und Abgrabungen zwecks Geländemodellierung und -anpassung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i. V. m. § 9 Abs. 3 BauGB)“, die laut Plan offensichtlich für die Photovoltaik-Nutzung und für die Niederschlagswasserrückhaltung hergerichtet werden soll, zugleich aber auch diverse Teile der geplanten Wohnbebauung und der umlaufenden Wegeführung.
Darauf hat der NABU grundlegend auch schon in seiner Stellungnahme vom 20.02.2025 (Az. 22/2025 ws) zur F-Plan-Teiländerung hingewiesen. Wir befürchten, dass man konkret in Erwägung zieht, für die Realisierung dieses Wohnparks Jahrzehnte alte Obstbäume zu roden, die durch ihre vielen Naturhöhlen als Fortpflanzungsstätten sowohl für die Avifauna als auch die Fledermausfauna von herausragender Bedeutung sind. Eine Wiederherstellung derartiger Strukturen an anderer Stelle ist kurzfristig nicht möglich. Der Erhalt wertvoller Biotopstrukturen ist neben den bereits erwähnten planerischen Flächensparsamkeitskriterien ein weiterer wesentlicher Bestandteil von Nachhaltigkeit im Rahmen der Bauleitplanung.
Streuobstwiesen am Lanzenberg erfüllen die gesetzlichen Schutzkriterien
Die Streuobstbestände am Lanzenberg sind die letzten verbliebenen größeren Flächen dieser Art im Randbereich der Kernstadt. Die übrigen sind bereits der ausufernden Wohnbebauung zum Opfer gefallen. Früher waren die Siedlungen im ländlichen Raum in der Regel von breiten Streuobstgürteln umgeben. Davon war die Kernstadt als Kleinstadt im ländlichen Raum des Saarlandes nie ausgenommen.
Eine derartige negative Entwicklung ist leider bundesweit zu beobachten, weshalb der Gesetzgeber Streuobstbestände ab einer bestimmten Größe und Ausprägung seit März 2022 gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BNatSchG deutschlandweit unter rechtlichen Schutz gestellt hat.
Auch wenn die Obstbaumbestände teilweise abgängig sind und nur noch teilweise gepflegt werden, besitzen sie durch ihren hohen Höhlen- und Totholzanteil noch auf viele Jahre gesehen einen sehr hohen Biotopwert. Die Mindestgröße von 1.000 m² ist auf allen Teilflächen gegeben, die Mindestanzahl von zehn Obstbäumen sowieso. Darüber hinaus handelt es sich praktisch ausnahmslos um Hochstämme (mindestens 160 cm Stammhöhe). Damit erfüllen die Streuobstwiesen am Lanzenberg nach der aktuellen Rechtsprechung die Kriterien für gesetzlich geschützte Biotope nach § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BNatSchG (s. dazu auch: https://www.nul-online.de/themen/landschaftspflege/article-7157239-201985/gesetzlicher-biotopschutz-nach-30-bnatschg-.html).
Störeinflüsse der Wohn- und Freizeitnutzung auf die angrenzenden Biotope
Die Streuobstwiesen als gesetzlich geschützte Biotope wären aufgrund der geplanten Wohn- und Freizeitnutzung, auch wenn sie nicht direkt überbaut und damit vernichtet werden, möglicherweise auch indirekten negativen Einflüssen ausgesetzt. Das betrifft insbesondere Störeinflüsse durch das Betreten der Flächen außerhalb der Streuobst- und Grünlandnutzung, seien es spielende Kinder, freilaufende Hunde oder Freizeitnutzende aus dem nahen Wohngebiet, die über den Rundweg nach aktuellem Planungsstand sogar durch Streuobstflächen direkt hindurchgeführt werden sollen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich sollen Kinder und Jugendliche die Natur erfahren dürfen. Gerade der NABU engagiert sich sogar sehr in der Ökopädagogik. Dennoch müssen besonders schützenswerte Bereiche vor einer zu intensiven Frequentierung bewahrt werden, gerade in der Brut- und Setzzeit.
Das ist der Grund, warum wir in unserer Stellungnahme zur F-Plan-Teiländerung anstatt der Darstellung des Umfeldes der Wohnbaufläche als „Grünflächen“ wieder eine Darstellung als „Flächen für die Landwirtschaft“ fordern, was der Realnutzung bis heute entspricht. Beansprucht das neue Wohngebiet bereits einen großen Teil an freier Landschaft, soll der Rest der im F-Plan zurückgenommenen Wohnbauflächenbevorratung nun einer Freizeitnutzung zugeführt werden. Das ist zumindest für diesen Bereich der Kernstadt in unseren Augen im Sinne des Landschaftsschutzes nicht zielführend und somit abzulehnen.
Betroffenheit einer LRT-6510-Fläche
Im südlichen Teil des Geltungsbereichs ist eine Fläche als FFH-Lebensraumtyp 6510 „Magere Flachlandmähwiesen“ mit der Kennzeichnung BT-6508-08-0175 im Gesamterhaltungszustand B (gut) biotopkartiert. Die Daten stammen jedoch bereits aus dem Jahr 2008 und müssen wegen ihrer mangelnden Aktualität überprüft werden.
Möglicherweise ergeben sich aus der ohnehin obligatorischen Vegetations-/Biotopkartierung im Rahmen des Planungsverfahrens (u. a. zur Erstellung einer Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzierung) weitere zu berücksichtigende Flächen dieser Kategorie, die im Falle einer überhaupt begründbaren Inanspruchnahme gegebenenfalls funktional auszugleichen wären. Es versteht sich von selbst, dass eine fundierte Biotopkartierung die Grundlage für weitere mögliche Planungsschritte darstellt.
Durch die Betroffenheit wertgebender Grünlandflächen im Rahmen der Planung sehen wir zudem eine Arterfassung der Tagfalterfauna als gerechtfertigt an.
Fledermausfauna gehört ebenfalls in den Untersuchungsrahmen
Diese gemäß FFH-Richtlinie streng geschützte Artengruppe ist in ihrer Gesamtheit planungsrelevant und deren Besiedlung des Geltungsbereichs zu untersuchen und zu bewerten, da sich zahlreiche Höhlenbäume, die Fledermausquartiere beinhalten könnten, in der Planungsfläche befinden. Insofern ist diese Artengruppe nach unserer Einschätzung ebenfalls mit in den Untersuchungsrahmen aufzunehmen.
Vorkommen der Zauneidechse im nahen Umfeld
Die Zauneidechse (Lacerta agilis) als planungsrelevante und streng geschützte FFH-Anhang-IV-Art kommt im Verlaufsbereich des Bahndamms (heutiger Radweg von St. Wendel nach Tholey) durch das Bliestal dauerhaft vor. Sie ist nach der saarländischen Roten Liste stark gefährdet (Gefährdungskategorie 2). Der letzte uns bekannte Nachweis gelang anlässlich des Tages der Artenvielfalt am 09.06.2024 in 190 Metern Entfernung zum Geltungsbereich des B-Plans bzw. sogar nur 30 Metern (!) Entfernung zum Geltungsbereich der F-Plan-Teiländerung. Der Fundpunkt ist im „FFIpS – Faunistisch-Floristisches Informationsportal des Saarlandes und der Saar-Mosel-Region“ erfasst. Die vorgesehene Untersuchung der Reptilienfauna ist somit schlüssig und geboten.
Einschlägig erfahrene Gutachterbüros mit der Arterfassung und dem artenschutzrechtlichen Fachbeitrag beauftragen
Wir weisen an dieser Stelle darauf hin, dass Erfassung und artenschutzrechtlicher Fachbeitrag in Bezug auf Chiropteren, Avifauna, Reptilien und Tagfalter sowie die Vegetations-/Biotopkartierung ausdrücklich darauf einschlägig spezialisierten und erfahrenen Fachbüros vorbehalten bleiben muss, um zuverlässige Ergebnisse zu erzielen. Gerade die Zauneidechse ist insbesondere bei kleineren Populationsgrößen vergleichsweise schwierig nachzuweisen. Zumindest bedarf es hierzu einer besonderen Erfahrung.
Insektenfreundliche Beleuchtung festsetzen
Das isolierte Vordringen des geplanten Wohngebiets in die freie Landschaft erfordert besondere Vorkehrungen in Bezug auf die auf den umliegenden Flächen noch vergleichsweise reichlich vorkommende Insektenfauna. Für das gesamte Wohngebiet halten wir es daher als unabdingbar, eine insektenfreundliche Beleuchtung in die textlichen Festsetzungen mit aufzunehmen.
Spätere Durchführung möglicher Kompensationsmaßnahmen in Frage gestellt
Angesichts der Erfahrungen mit der Umsetzung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen in Bezug auf die Bauleitpläne der Kreisstadt St. Wendel sind wir zunehmend skeptisch, dass diese konsequent umgesetzt werden. Auch wenn es unter Mitwirkung des NABU vereinzelte positive Beispiele gibt (z. B. Kreuzkröten-Ersatzbiotop im Gewerbegebiet West), existieren leider mehr Defizitbeispiele bei gleichzeitiger Betroffenheit planungsrelevanter Arten (z. B. Gewerbegebiet/Solarpark Hottenwald, Wendelinuspark-Golfplatz). Alleine schon das Budget für derartige – rechtlich verpflichtende – Maßnahmen für das gesamte Stadtgebiet, das vor einigen Jahren mit 2.000,00 EUR angegeben wurde, lässt erahnen, dass es weiterhin Vollzugsdefizite geben wird. Unterfinanziert sind hier vor allen Dingen langfristige Pflegeauflagen.
Städtebaulicher Vertrag mit Investoren empfohlen
Wir empfehlen daher unbedingt, die Zuständigkeiten für die Durchführung und Finanzierung der zweifellos zu erwartenden naturschutzfachliche Auflagen in einem Städtebaulichen Vertrag detailliert und erschöpfend zu regeln. In diesem Zusammenhang meinen wir ausdrücklich nicht den bereits geschlossenen Städtebaulichen Vertrag, der angesichts des Planungsstandes noch gar nicht alle notwendigen Regelungen enthalten kann, weil das B-Plan-Verfahren sich erst in einem recht frühen Stadium befindet. Die Regelungserfordernis betrifft ebenso die Zeit nach einer möglichen Umsetzung des Vorhabens und Übernahme durch die Kreisstadt St. Wendel. Denn auch dann müssen langfristige Pflegeauflagen weitergeführt werden, wenn rechtliche Vorgaben nicht wissentlich unterlaufen werden sollen.
Grundsätzlich empfiehlt es sich, den späteren Kostenaufwand zur Durchführung der grünordnerischen bzw. Kompensationsmaßnahmen bereits von Anfang an miteinzukalkulieren und auf die Grundstückserwerbenden mitumzulegen. Da rechtlich verbindlich und für eine Realisierung solcher Planungen obligatorisch, sind diese Maßnahmen ebenfalls förderfähig, zumal es sich analog zu den baurechtlichen Auflagen um keine freiwilligen Leistungen handelt.
Fazit
Wie auch schon in unserer Stellungnahme vom 20.02.2025 (Az. 22/2025 ws) zur F-Plan-Teiländerung erwähnt, sind wir angesichts der weiteren Wohnsiedlungsentwicklungsflächen in der Kernstadt vom tatsächlichen Bedarf des geplanten Wohngebiets nicht überzeugt und werden im Rahmen des förmlichen Verfahrens diesen Aspekt weiter beleuchten. Wir halten den Wohnpark Lanzenberg für verzichtbar und die gewählte Örtlichkeit von der Lage her als Fläche für die weitere Stadtentwicklung zumindest unter elementaren planerischen Gesichtspunkten für wenig geeignet (keine sinnvolle Arrondierung, weite fußläufige Entfernung vom Stadtzentrum, anspruchsvolle und damit aufwendige komplette Neuerschließung).
Die Streuobstwiesen am Lanzenberg sind als gesetzlich geschützte Biotope Tabuflächen, die weder überplant, noch durch neue Störeinflüsse beeinträchtigt werden dürfen. Die sich um ein möglicherweise zukünftiges Wohngebiet erstreckenden Flächen müssen unter anderem aus diesem Grund nach unserem Dafürhalten als Flächen für die Landwirtschaft im F-Plan und B-Plan erhalten bleiben.
Die Durchführung von Kompensationsmaßnahmen, die sich aus dem Bebauungsplan ergeben und von ausgewiesenen Fachleuten konzipiert werden müssen, sollte im Falle einer Realisierung des Vorhabens unbedingt über einen Städtebaulichen Vertrag – auch für die Zeit nach einer Übernahme des Wohngebiets durch die Kreisstadt St. Wendel – ohne Einschränkungen gewährleistet sein.
Kontakt: Dipl.-Geogr. Wendelin Schmitt, Geschäftsstellenleiter