Es fliegt kein Kranich in den Hühnerstall

NABU drängt auf Biosicherheit und rasches Beseitigen von Geflügelpestopfern.

Kranichzug - Foto: Tom Dove

Der heftige Ausbruch der Geflügelpest bei Kranichen hat Vogelkundler*innen ebenso überrascht wie die Behörden. „Auf das Ausmaß und die Geschwindigkeit war niemand vorbereitet“, stellt NABU-Kranichexperte Günter Nowald fest. In den letzten Jahren sind in Ungarn und in Israel Kraniche in größerer Zahl an der auch als Vogelgrippe bekannten Geflügelpest gestorben. Auf den über Deutschland führenden Zugrouten gab es dagegen höchstens Einzelfälle.

Es ist anzunehmen, dass sich die Kraniche an Rastplätzen bei Wasservögeln mit der H5N1-Variante des Geflügelpestvirus angesteckt haben. „Wir wissen nicht, ob die Übertragung auf Kraniche erst in Deutschland stattfand oder – was wahrscheinlicher ist – bereits im Baltikum oder in Polen“, so Nowald. Bis vor wenigen Jahrzehnten war das Geflügelpestvirus auf Enten und Gänse beschränkt. Dann ist es immer mehr mutiert, bis es zuerst auch Hühner befiel, später zahlreiche weitere Vogelarten und inzwischen sogar Säugetiere vom Fuchs bis zum Menschen.

Während Kraniche zur Zugzeit tagsüber in der weiträumigen Umgebung der Rastplätze nach Nahrung suchen, sammeln sie sich abends an flachen Gewässern. An den Schlafplätzen stehen sie dicht gedrängt, manchmal zu Zehntausenden, und hier stecken dann bereits infizierte Vögel andere an. Viele infizierte Kraniche sterben noch am Rastplatz, andere verbreiten beim Weiterflug die Erreger entlang des Zugweges.

„Das möglichst rasche Entfernen von Kadavern ist die einzige Handhabe, um die Geflügelpest-Ausbreitung unter Wildvögeln und die Übertragung an Aasfresser zu minimieren“, betont Nowald. „In manchen Regionen wird diese Aufgabe fast ausschließlich von ehrenamtlichen Naturschützer*innen wahrgenommen. Wir benötigen mehr professionelle Unterstützung, etwa von Feuerwehren oder dem THW. Wo dies bisher an formalen Hürden scheitert, sollten die Regeln dringend überdacht werden.“

In europäischen Wasservogelpopulationen kommen Geflügelpestviren inzwischen ganzjährig vor. In der Geflügelindustrie besteht zudem ein ständiger, teils weltweiter Austausch von Eiern und Tieren, auch über Futtermittel und Dünger können Viren in Geflügelbestände gelangen – oder aus diesen in die freie Natur, so dass sich Wildvögel an Hausgeflügel infizieren. Selbst dort, wo möglicherweise Viren von Kranichen in geschlossene Geflügelhaltungen gelangen, geschieht das auf Umwegen, zum Beispiel über verschmutzte Schuhe oder Kleidung. „Es fliegt kein Kranich in den Hühnerstall“, betont Günter Nowald, „für den Vireneintrag sorgen wir Menschen. Es ist deshalb entscheidet, dass Hygiene- und Biosicherheitsmaßnahmen strikt eingehalten werden.“

Aktuell ist offen, ob der Höherpunkt der Geflügelpest bereits überschritten ist oder die Kranich-Opferzahlen noch zunehmen. „Jedenfalls zeigt der Ausbruch, dass auch bisher stabile und gesunde Vogelpopulationen durch große Negativereignisse verwundbar sind. Der Schutz des Kranichs und seiner Lebensräume bleibt eine wichtige Aufgabe“, stellt Nowald fest.

Für Rückfragen: Dr. Günter Nowald, Geschäftsführer Kranichschutz Deutschland und Leiter NABU-Kranichwelten, Tel. 038323-80540