Was tut man in folgender Situation: Im Urlaub oder auf Dienstreise, erster Tag im unbekannten Hotel, auf der Suche nach dem Frühstücksraum. Kein Wegweiser zu sehen, niemand da, den man fragen könnte. Wie findet man den Weg zu Kaffee, Brötchen und Müsli? Man lauscht, von wo es nach Morgengesprächen, Kaffeeautomatengeräuschen und Löffelgeklimper tönt, und folgt dieser akustischen Spur. Eine vergleichbare Taktik wenden offenbar Große Abendsegler (Nyctalus noctula) unter bestimmten Bedingungen an, wenn sie sich auf die Suche nach insektenreichen Jagdgebieten begeben.
Wissenschaftler*innen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung berichteten in der Fachzeitschrift OIKOS von neuen Forschungsergebnissen zum Jagdverhalten von Abendseglern. Sie statteten gut zwei Dutzend Individuen dieser vergleichsweise großen heimischen Fledermausart (bis 40 cm Spannweite, Gewicht 40 g) mit Datenloggern aus, die sowohl Position und Flugbewegungen (mittels GPS), als auch Ruftätigkeit und Anwesenheit weiterer Fledermäuse (mittels Ultraschallmikrofon) aufzeichneten. Die Untersuchungen fanden in zwei unterschiedlichen Lebensräumen statt. Zum einen in einer von Weizen-, Raps- und Maisfeldern geprägten Landschaft, und zum anderen in einem von Kiefernwäldern dominierten Gebiet.
In den Aufzeichnungen der Datenlogger suchten die Forscher*innen vor allem nach „feeding buzzes“; aus dem Vorkommen dieser speziellen Jagdrufe, mit denen Fledermäuse ihre Beute detektieren, lässt sich ableiten, wie viele Insekten die Abendsegler erbeuten. Außerdem geben die Mikrofonaufnahmen eine ungefähre Auskunft darüber, wie viele andere Fledermäuse sich in der Nähe aufhalten. Anhand der GPS-Daten lässt sich wiederum feststellen, ob die Tiere sich im sogenannten Streckenflug befinden (Überwindung weiterer Distanzen ohne viele Richtungswechsel), oder im kleinräumigen Suchflug, bei dem sie auf engem Raum häufig Zick-Zack-artige Flugmanöver ausführen. Wie sich herausstellte, waren über dem Wald sowohl in den Streckenflug-, als auch in den Suchflugzeiten regelmäßig „feeding buzzes“ zu hören, egal ob Artgenossen in der Nähe waren oder nicht. Anders sah es über den Feldern aus; „feeding buzzes“ waren hier fast nur bei Suchflügen zu hören, und vor allem dann, wenn noch andere Fledermäuse anwesend waren. Die Wissenschaftler*innen erklären sich diese Befunde folgendermaßen: Über den Feldern sind Beuteinsekten recht selten und kommen nur an einzelnen Stellen in höherer Dichte vor (z.B. Heckenränder). Um diese Stellen zu finden, lauschen die Abendsegler nach Jagdrufen von Artgenossen. Erst wenn sie auf diese Weise ein ergiebiges Jagdgebiet gefunden haben, wechseln sie in den Suchflug und können selbst erfolgreich Beute machen. Über Wäldern hingegen ermöglicht die höhere und gleichmäßiger verteilte Beutedichte es auch Einzelgängern, erfolgreich zu jagen. Das Belauschen von Artgenossen zum Auffinden erfolgversprechender Jagdgebiete ist hier nicht notwendig.
Die Lauschangriff-Taktik zur Optimierung der Jagd in beutearmer Umgebung funktioniert allerdings nur so lange, wie die lokale Populationsdichte der Fledermäuse nicht unter einen kritischen Wert sinkt, wie die Studienautor*innen anmerken. Klar – steht man zu spät auf, sind auch kaum noch andere Hotelgäste im Frühstücksraum, an deren Lärm man sich orientieren könnte, um dorthin zu finden.