Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten

Buchvorstellung von Sascha Heib, NiS 3/2020

Der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht zeichnet in seinem über 1 000 Seiten starken Werk die Geschichte der Menschheit und ihres Einwirkens auf die übrige Lebenswelt nach, von den Anfängen unserer Gattung bis zur heutigen Biodiversitätskrise. Das Buch gliedert sich in drei Teile etwa gleichen Umfangs.
Teil eins stellt eine kondensierte Evolutionsgeschichte des Menschen dar. Beginnend mit der Entstehung erster Prähominiden folgt man zunächst der prähistorischen Evolutions-, dann der historischen Zivilisationsgeschichte bis in die Jetztzeit. Dabei passiert man zum Beispiel die Phase der Trennung der Stammeslinien von Menschen und Menschenaffen, die Ausbreitung unserer Vorfahren über alle Kontinente sowie die Entstehung von Landwirtschaft und Megacitys. Eingebettet sind Abschnitte, die sich zum Beispiel mit den Wechselwirkungen zwischen der körperlichen und geistigen Ausstattung unserer Ahnen und den Gegebenheiten und Veränderungen ihrer Umwelt befassen. Oder auch mit der Bevölkerungsentwicklung, die aus biologischer, forschungsgeschichtlicher und demografischer Perspektive dargestellt wird. Dieses Thema wird sich in späteren Kapiteln immer wieder als zentral für Glaubrechts Ursachenbeschreibung und Zukunftsszenarien zur Biodiversitätskrise erweisen.
Der zweite Teil des Buches handelt von der Erforschung der Artenvielfalt und vom Ausmaß und den Gründen ihres Verschwindens. Zunächst erfährt der/die Leser*in, wie Biolog*innen Spezies bestimmen und klassifizieren, wie sie Artenzahlen und -verbreitungen ermitteln und Artenverluste beziffern. All diese Tätigkeiten sind mit Problemen und Unsicherheiten behaftet, die der Autor transparent macht und verständlich erklärt. Es folgen mehrere Kapitel, von denen sich jedes einer bestimmten Tiergruppe und der Geschichte und den Ursachen ihrer Bedrohungslage widmet. Behandelt werden etwa Groß- und Kleinkatzen, Elefanten und Nashörner, die Avifauna sowie wasserlebende Spezies vom Stör bis zum Finnwal. Auch die von der Öffentlichkeit lange weitgehend ignorierten und für viele Ökosysteme potenziell kritischen Verluste der Insektenvielfalt bleiben nicht unerwähnt. Botanisch interessierte Leser*innen mögen vielleicht ein eigenes Kapitel zur Pflanzenwelt vermissen.
Nach diesem Streifzug durch die bedrohte Biosphäre vertieft der Autor in Teil drei des Werkes seine Ausführungen zu diversen Problemfeldern menschlicher Naturzerstörung und deren Folgen für Ökosysteme. So erfährt man etwa, dass das Schicksal einer Art schon lange vor ihrem endgültigen Aussterben besiegelt sein kann. Warum? Populationsbiologische Überlegungen liefern hier die Antwort. Glaubrecht bemüht sich um eine anschauliche Vermittlung grundlegender Konzepte und Prinzipien der Ökologie, der Naturschutz- und Evolutionsbiologie, um ein Verständnis für die komplexen Mechanismen des Artenschwundes zu erzeugen. Wer noch nicht mit ihnen vertraut ist, wird dabei Begriffe wie genetischer Flaschenhals, Aussterbeschuld, Defaunation und Tragfähigkeit der Erde kennenlernen.
Zum Ende hin kommt Glaubrecht noch einmal zurück zur menschlichen Natur, also zu der Frage nach Wesenszügen, Denk- und Verhaltensweisen des Homo sapiens, die verantwortlich dafür sind, wie wir mit der Erde umgehen. Führen gewisse Merkmale der Grundausstattung unserer Art notwendigerweise dazu, dass wir sehenden Auges auf den Abgrund zusteuern? Oder ist der „weise Mensch“ vernünftig genug, um nicht das zu gefährden, was auch seine eigene Existenz sichert? Ein Ende der Evolution im strengen Sinne ist wohl nicht zu erwarten. Aber dass die möglichen Wege der weiteren Entwicklung von Pflanzen, Tieren und anderen Organismen durch ein vom Menschen verursachtes Massenaussterben bald so stark eingeschränkt sind, dass unsere Nachkommen sich in einer Welt mit völlig verarmter Biodiversität wiederfinden werden, erscheint dem Autor aus heutiger Sicht nicht unwahrscheinlich.
Der überwiegend düstere Grundton macht das Buch nicht zum reinen Lesevergnügen; sein vielleicht größtes Manko ist aber der Umfang. Eine über weite Strecken unbestreitbar hohe Informationsdichte gipfelt mitunter in Passagen, die durch zu viele Zahlen und zu lange Aufzählungen ermüdend wirken. An einigen Stellen hätte man sich statt über einer Seite monotonem Fließtext eine Tabelle gewünscht, die denselben Inhalt prägnanter vermittelt hätte. Weil es ein höchst relevantes Thema fachlich fundiert und mit großem Engagement vermittelt, ist dem Buch dennoch eine große Leserschaft zu wünschen.

Matthias Glaubrecht: „Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten“. C. Bertelsmann, 1072 Seiten, 38 Euro.